Die Geburt eines Kindes muss auch beim verspäteten Studienwechsel berücksichtigt werden

22. September 2023

Studentin M wird kurz nach der Matura zum ersten Mal Mutter. Ein Jahr später beginnt sie im Wintersemester 2014 zu studieren. Ihr Kind ist zu diesem Zeitpunkt 10 Monate alt. Nach 4 Semestern ihres Bachelorstudiums wechselt sie im Wintersemester 2016 auf ein anderes Studium, das besser passt. M meldet den Studienwechsel beim Finanzamt und erhält weiterhin die Familienbeihilfe ausbezahlt. Aus dem Vorstudium kann sich M keine ECTS-Punkte im neuen Studium anrechnen lassen. M schließt ihr Studium in Mindeststudienzeit von 6 Semestern ab und arbeitet bald nach Studienabschluss erfolgreich in ihrer Branche.

Im Frühjahr 2019, kurz vor Studienabschluss des aktuellen Studiums, erhält Ms Mutter einen Rückforderungsbescheid vom Finanzamt. Darin wird die Familienbeihilfe für alle 4 ausbezahlten Semester des 2. Studiums in der Höhe von über € 5.500 zurückgefordert, da M ihr Studium zu spät gewechselt habe.

Die Familie wendet sich mit der Bitte um Hilfe an die Sozialberatung der Österreichischen Hochschüler_innenschaft (ÖH). Mit Unterstützung der ÖH wird gegen den Rückforderungsbescheid eine Bescheidbeschwerde erhoben. Auch die Beschwerdevorentscheidung fällt negativ aus. Das Finanzamt führt weiter aus, dass Ms Kind nicht während des Studiums, sondern vor Studienbeginn geboren ist, weshalb es zu keiner Hemmung der Studienzeit komme. Daher liege ein verspäteter Studienwechsel nach dem 4. Semester vor. Die ÖH unterstützt bei der Erstellung des Vorlageantrages an das Bundesfinanzgericht (BFG). Auch das Gericht weist Ende 2019 mit gleicher Begründung ab.

M und die ÖH sind überzeugt, dass der Zeitpunkt, wann ein Kind geboren wird, keinen Unterschied für die Verlängerung der Anspruchsdauer in der Familienbeihilfe machen darf. Die ÖH übernimmt die Vertretungs- und Verfahrenskosten für ein höchstgerichtliches Verfahren. Anfang 2020 wird Revision beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) eingebracht.

Das Familienlastenausgleichgesetz (FLAG) sieht vor, dass die Studienzeit durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (z.B. Erkrankung) verlängert wird. Dabei bewirkt eine Studienbehinderung von jeweils drei Monaten eine Verlängerung um ein Semester. Zeiten des Mutterschutzes sowie die Pflege und Erziehung des eigenen Kindes bis zur Vollendung des 2. Lebensjahres hemmen jedenfalls den Ablauf der Studienzeit und damit der Anspruchsdauer auf Familienbeihilfe.

Studienwechsel sind spätestens nach dem 2. Semester vorzunehmen, andernfalls kommt es zu einer Wartezeit. Verspätete Studienwechsel sind dann nicht mehr zu beachten, wenn Studierende im neuen Studium so viele Semester studiert haben, wie sie im zu spät gewechselten Studium studiert haben. Anrechnungen aus dem Vorstudium verkürzen die Stehzeit.

Nach etwa 2 ½ Jahren Verfahrensdauer entscheidet der VwGH zu Gunsten von Studentin M (VwGH vom 29.06.2022, Ra 2020/16/0054-6). Das Höchstgericht führt aus, dass bei Eintritt der Hemmung der Studienzeit (Fortlaufshemmung) aufgrund der Geburt eines Kindes, die Semester im Hemmungszeitraum bei der Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Studienwechsels nicht zu beachten sind. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass aufgrund der zeitlichen Inanspruchnahme der Eltern durch die Pflege und Erziehung eines Kindes in dessen ersten Lebensjahren die vorgesehene Studienzeit (und die damit verbundene Notwendigkeit entsprechende Leistungsnachweise zu erbringen) nicht eingehalten werden kann. Demnach soll diese Zeit keine negativen Auswirkungen auf den Familienbeihilfeanspruch haben. Eine Differenzierung danach, ob das Kind vor oder erst nach Beginn der Berufsausbildung geboren wurde, wird dem Ziel der Bestimmung nicht gerecht. Daher sei im vorliegenden Fall der Studienwechsel rechtzeitig erfolgt, unabhängig davon, ob die Geburt vor oder nach Studienbeginn war.

Beachte, dass auch Semester, in denen es aufgrund eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses zu einer Verlängerung der Studienzeit kommt, beim Studienwechsel nicht zu zählen sind (VwGH vom 27.09.2012, 2010/16/0084).

Durch die ÖH erkämpft: Durch den Einsatz der ÖH konnte eine wichtige Rechtsfrage für Studierende mit Kind geklärt werden, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung hat.

Weitere Erfolge aus der Beratung unter www.oeh.ac.at/geschafft.

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