Kinderbetreuungsgeld für ausländische Studierende, die ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben

24. Mai 2021
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Kinderbetreuungsgeld für ausländische Studierende: Es kommt nicht auf die Staatsangehörigkeit, sondern auf den Mittelpunkt der Lebensinteressen an

Der deutsche Staatsbürger Herr E beschließt im Herbst 2015 nach Österreich zu ziehen und beginnt hier sein Studium. Seine Lebenskosten deckt er mittels Unterhaltszahlungen seines Vaters und darüber hinaus bezieht er monatliche Zahlungen aus einem Bildungskredit.

D, die Freundin von E, ebenfalls Deutsche, studiert und lebt auch seit 2015 in Österreich. Sie erhält finanzielle Unterstützung von ihrer in Deutschland lebenden Mutter, ihrem Onkel und arbeitet geringfügig in Österreich neben dem Studium.

Das Paar besucht ihre in Deutschland lebenden Familien ein- bis zweimal jährlich. Den Großteil der Freund_innen haben sie inzwischen in Österreich.

Seit Herbst 2018 wohnen E und D in gemeinsamen Haushalt. Ende 2018 kommt ihr gemeinsames Kind zur Welt, das sie gemeinsam betreuen. Anfang 2020 heiraten E und D. Die ursprünglich in Österreich geplante Hochzeit findet wegen geringeren bürokratischen Aufwandes schließlich in Deutschland statt.

Frau D und Herr E beschließen sich die Kinderbetreuung aufzuteilen. Anfang 2019 beantragt Frau D das deutsche „Elterngeld“. Ihr Antrag wird abgelehnt, da die deutschen Behörden die Ansicht vertreten ihr Lebensmittelpunkt liege seit vier Jahren in Österreich. Als D Kinderbetreuungsgeld in Österreich beantragt, wird dies jedoch ebenfalls abgelehnt. Hier wird wiederrum argumentiert, Frau Ds Lebensmittelpunkt liege nicht in Österreich, sondern in Deutschland. Es reiche nicht, dass D in Österreich geringfügig beschäftigt sei, da ihr Partner keine Beschäftigung habe, ihre Familie in Deutschland lebe und sie hauptsächlich von finanzieller Unterstützung ihrer deutschen Familie lebe.

Die österreichische Familienbeihilfe wird ihr aber sehr wohl für ihr Kind ausbezahlt.

Inzwischen sind Monate seit der Geburt ihres Kindes vergangen. Die Behörde beharrt auf ihrem Standpunkt und möchte kein Kinderbetreuungsgeld ausbezahlen. Nun beantragt auch Ds Partner E für sein Kind Kinderbetreuungsgeld und hofft, diese zugesprochen zu bekommen. Auch er erhält eine Absage. Die Begründung der Krankenkasse ist ähnlich wie bei D: Er würde sich nur zu Studienzwecken in Österreich aufhalten, er hätte seine Frau in Deutschland geheiratet und er sei in Österreich nicht erwerbstätig, sondern finanziere sein Leben ausschließlich aus Deutschland. Insgesamt würde nach Auffassung der Behörde eine engere wirtschaftliche und persönliche Beziehung zu Deutschland vorliegen, weshalb das Kinderbetreuungsgeld zu versagen sei.

Die Familie ist ratlos. Es stimme keineswegs, dass sie nur zu Studienzwecken in Österreich seien. Vielmehr haben sie in Österreich eine Familie gegründet, Freundschaften geknüpft und leben hier seit vielen Jahren. Mit der Bitte um Hilfe wendet sich Herr E an das Sozialreferat der Österreichischen Hochschüler_innenschaft (ÖH). Nach einem ausführlichen Beratungsgespräch entschließt sich die ÖH dazu, die Kosten für ein Gerichtsverfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht zu übernehmen. Die Verfahren von Frau D und Herrn E werden vom Gericht verbunden und zusammen verhandelt.

Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in Österreich hat ein Elternteil, das mit dem Kind den Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich hat. Dies ist anzunehmen, wenn sich die Person ständig in Österreich aufhält und sich aus der Gesamtabwägung aller Umstände ergibt, dass diese Person zu Österreich die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat als zu anderen Betracht kommenden Staaten. Dabei sind dieselben Grundsätze anzuwenden, die beim Bezug der österreichischen Familienbeihilfe ausschlaggebend sind.

Das Gericht wägt verschiedene Aspekte ab: die Intensität des Vollzeitstudiums in Österreich, der stetige Studienerfolg, die vielen Sozialkontakte hier, ihre österreichischen Konten, die Hauptwohnsitzmeldung, die Betreuung des gemeinsamen Kindes in Österreich und die in Österreich durchgeführten Untersuchungen während der Schwangerschaft und nach der Geburt – all das spricht nach Ansicht des Gerichtes für den Lebensmittelpunkt in Österreich. Das Gericht betont, dass in der Gesamtbetrachtung vor allem der Ort, an dem die antragstellenden Eltern mit ihrem Kind gemeinsam leben, gegenüber dem Ort zurücktritt, von dem finanzielle Zuwendungen kommen. Diesbezüglich hat der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) judiziert, dass hinsichtlich des Begriffs des Mittelpunktes der Lebensinteressen die der Lebensgestaltung dienenden wirtschaftlichen Beziehungen hinter die persönlichen Bindungen zurücktreten. Dementsprechend ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH bei Personen, die im Familienverband mit gemeinsamer Haushaltsführung leben, der Familienwohnsitz von ausschlaggebender Bedeutung für die Frage, wo der Mittelpunkt der Lebensinteressen liegt. Die Bejahung des Mittelpunktes der Lebensinteressen in Österreich setze auch nicht voraus, dass die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen ausschließlich Österreich gelten. Vielmehr ist im Rahmen einer vergleichenden Beurteilung abzuwägen, zu welchem von mehreren allenfalls in Betracht kommenden Staaten die engere Beziehung besteht.

Insgesamt erhält die Familie über € 10.000 an Kinderbetreuungsgeld nachträglich ausgezahlt.

Durch die ÖH erkämpft: Mit Unterstützung der ÖH erhält die Familie im Nachhinein über € 10.000 Kinderbetreuungsgeld für ihr Kind ausbezahlt.

Weitere Erfolge aus der Beratung unter www.oeh.ac.at/geschafft

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